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13. März 2015 / Ralf Koss

Was verrät Dortmunds Fußballoperette über die Ruhrstadt?

Einmal ist “Roxy und ihr Wunderteam” in dieser Spielzeit noch auf der Dortmunder Opernbühne zu sehen. Einmal noch gibt es übermorgen, am 15. März, die Gelegenheit, sich selbst ein Bild davon zu machen, mit welch großartiger Leistung die Dortmunder Oper in die Bresche spang, als der BVB noch nicht die erhofften Resultate auf dem Rasen zustande brachte. Wenigstens dort konnte das Publikum über eine Fußballwelt in Begeisterung ausbrechen, wenn der BVB mal wieder verlor.

Wer die Chance am Sonntag nicht ergreift, verpasst mitreißende Musik, wunderbare Choreografien, große Stimmen und ein Ensemble voller Spielfreude, das boulevardeske  Komik zu nutzen weiß. Der Fußball als Milieu trägt die Handlung, und eine grundsätzliche Frage aller Fußballtrainer treibt diese Handlung voran: Schadet die Liebe der sportlichen Leistung? Roxy ist nämlich die Braut, die sich nicht traute. Aus der Hochzeitsmesse heraus flüchtet sie kurz vor dem Jawort in das Hotelzimmer eines Fußballers. Der hat als Kapitän seiner Mannschaft gerade vom Trainer den Auftrag erhalten, die Vorbereitung auf das nächste Spiel ohne Alkohol und Frauen bei einem Trainingslager in der ungarischen Provinz zu gewährleisten. Nur so könne eine erneute desaströse Niederlage verhindert werden. Klar, dass die Mannschaftskollegen ganz anderer Meinung sind, und ebenso klar, dass der Vormund von Roxy, der schottische Mixed-Pickles-Produzent Cheswick, und ihr an Liebeskummer leidender Bräutigam ihr hinterher kommen.

1937 hatte das Stück seine gefeierte Premiere in Budapest. Ein Jahr später erlebte es in Wien noch einmal eine längere Aufführungsdauer. Für den Komponisten jüdischer Herkunft Paul Abraham sind diese Aufführungsorte gleichzeitig Fluchtorte. Die großen Erfolge im Berlin der Weimarer Republik waren für ihn mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten vorbei. Paul Abraham verbindet in seiner Musik die unterschiedliche Traditionslinien der klassischen Operette, des Schlagers und des Jazz. Seine Lieder werden zur Popmusik seiner Zeit, die heute nichts an Frische verloren hat. Roxy und ihr Wunderteam ist lebendige, großartige Ruhrgebietskultur.

Unschwer ist zu erkennen, beschwingt und begeistert habe ich im Dezember das Dortmunder Theater nach meinem Besuch von “Roxy”  verlassen.  Jedes Mal hätten die Aufführungen bis jetzt ausverkauft sein müssen. Sie waren es nicht. Was uns weniger etwas über das Interesse der Dortmunder am Stück mitteilt als über den Zustand jener gemeinsamen Ruhrstadtkultur, die von den wirtschaftsfördernden Meinungsmachern der Region gerne als großer Standortvorteil angepriesen wird. Immer wieder wird in den Imagebroschüren dieses Bild von der vielfältigen Kulturlandschaft bemüht. Dennoch merkt man ihm die Werbebotschaft zu sehr an, weil sich diese Vielfalt nicht zu einer gemeinsamen kulturellen Öffentlichkeit bündelt. Die Botschaft soll ja in zwei Richtungen wirken. Einerseits soll damit der Scheinwerfer auf einen weichen Standortfaktor gerichtet werden, um das Ruhrgebiet für Unternehmer und gut ausgebildete Arbeitskräfte attraktiv zu machen. Andererseits soll sie aber auch das Selbstverständnis der Region stärken. Kreative sollen in der Ruhrstadt gehalten werden, und gerade daran hapert es nur allzu oft.

Wer tatsächlich die Kreativwirtschaft befördern und die Ruhrstadtkultur stärken will, muss ein besonderes kulturelles Ereignis dieser Ruhrstadt wie “Roxy und ihr Wunderteam” besonders wahrnehmen. Kultur als Konsumangebot für ansiedlungsbereite Arbeitskräfte klingt attraktiv, Strahlkraft erhält diese Kultur aber nur, wenn sie zudem als Milieu wahrgenommen wird, als lebendige, produktive Szene. Diese Geschichte von der lebendigen, originellen Ruhrstadtkultur wäre über “Roxy und ihr Wunderteam” zu erzählen. Denn an der Dortmunder Oper war man sich bewusst, dass die Aufführung einer unbekannten Vaudeville-Operette mit der Musik von Paul Abraham kein Selbstläufer beim Publikum sein wird. In einer gut funktionierenden kulturellen Öffentlichkeit der Ruhrstadt hielten es die Meinungsmacher der Region für ihre Pflicht, sich diese Aufführung anzusehen. Sie wäre wegen der besonderen Geschichte ihrer Wiederentdeckung zusammen mit dem Fußball-Thema als einem beliebten Ruhrstadtsujet ein gesellschaftliches Ereignis. All das ist nicht geschehen. Das erklärt, warum trotz der in den Ruhrstadt-Stadtteilen so vielfältig vorhandenen kulturellen Aktivitäten, so viele kulturell interessierte Ruhrstädter das Gefühl haben, in anderen Städten sei es um die Kultur besser bestellt.

Die Wiederentdeckung von “Roxy und ihr Wunderteam” ist auf allen Ebenen ein Ergebnis ureigener Ruhrstadtkultur. Die Dramaturgin der Oper, Wiebke Hetmanek, hat für die Vaudeville-Operette eine aufführbare Bühnenfassung aus unterschiedlichen Quellen rekonstruiert. Auch die Partitur wurde in Dortmund von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger neu erarbeitet. Die Dortmunder Oper hat nicht nur die Grundlage für ihre beeindruckende Aufführung geschaffen, sie hat ein fehlendes Stück Musikgeschichte wieder hergestellt und eine von den Nationalsozialisten gerissene Lücke wieder gefüllt. Sie hat sich die Aufgabe selbst auferlegt, einem Werk dieses geschändeten Teils deutscher Kultur wieder zu Wirken und Würde zu verhelfen.

All das erschließt sich nicht von selbst. Die Aufführung ist Alltag des Dortmunder Opernbetriebs. Ihr fehlt der Event-Charakter wie ihn etwa die Ruhrtriennale mit sich bringt. Standortwerbung ist das eine, gelebte Kultur das andere. Die Vielfalt ist da, für das wirksame Selbstbild fehlt auch bei der Kultur wieder das auf die gesamte Region bezogene öffentliche Gespräch. Wer die Kulturlandschaft als Standortfaktor für wichtig erachtet, kommt nicht umhin, sich auch um dieses Gespräch über das ganz normale Geschehen eines Ruhrstadtkulturjahres zu kümmern. Nur dann nimmt das Ruhrgebiet selbst das eigene kulturelle Wirken auch wahr. Zwangsläufig ergibt sich die Frage, wo ist der Ort für dieses Gespräch?

 

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